„Genetische Selbsthilfe“ gezielt aktivieren: Eva Luise Köhler Forschungspreis für Didier Stainier
Stiftung des früheren Bundespräsidenten und seiner Frau würdigt innovativen Therapieansatz für Duchenne-Muskeldystrophie
Didier Stainier, Direktor am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim, erhält den diesjährigen Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung. Mit dem Preis werden Stainier und sein Team für ihre Grundlagenforschung an der Muskelerkrankung Duchenne-Muskeldystrophie ausgezeichnet.
Die von Eva Luise Köhler und dem vor wenigen Monaten verstorbenen früheren Bundespräsidenten Horst Köhler gegründete und nach ihnen benannte Stiftung widmet sich der Erforschung sogenannter seltener Erkrankungen. Eine Krankheit wird als selten eingestuft, wenn sie weniger als einen unter 2000 Menschen betrifft. Oft sind diese Erkrankungen nicht im Fokus der Wissenschaft und der Pharmaunternehmen, so dass keine oder nur wenige Behandlungsmöglichkeiten existieren. Die Stiftung möchte die Forschung an diesen besonderen Krankheiten unterstützen und vorantreiben, und so dazu beitragen, den rund fünf Millionen Betroffenen in Deutschland neue Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen.

In diesem Jahr erhält Professor Dr. Didier Stainier, Direktor der Abteilung „Genetik der Entwicklung“ am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, zusammen mit seinen Teammitgliedern Dr. Christopher Dooley und Lara Falcucci, den mit 50.000 Euro dotierten Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen. Ausgezeichnet wird ihr Forschungsprojekt zur therapeutischen Nutzung transkriptioneller Adaptation.
Hierbei handelt es sich um einen genetischen Schutzmechanismus, mit dem Zellen den Ausfall einzelner Gene kompensieren und so die Funktion von Zelle und Organ zumindest teilweise aufrechterhalten können. Die Max-Planck-Wissenschaftler haben diesen natürlichen Kompensationsmechanismus nun erstmals in menschlichen Zellen bei Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) nachweisen können. Dieser Mechanismus beruht darauf, dass der Abbau der mutierten, nicht funktionstüchtigen Dystrophin-mRNA zur Aktivierung funktionell verwandter Gene wie Utrophin führt. Dadurch kann die Funktion der Muskelzellen zumindest teilweise wiederhergestellt werden.
„Die Erkenntnis, dass mRNA-Fragmente aktiv zur Regulation anderer Gene beitragen können, kommt einem Paradigmenwechsel gleich und würde das Verständnis genetischer Prozesse fundamental erweitern“,
ordnet Stainier die in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie ein.
Genetische Kompensation gezielt nutzen: ein Paradigmenwechsel in der Therapie Seltener Erkrankungen
Professor Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung, erklärt: „Die Arbeiten von Professor Stainier und seinem Team sind von herausragender wissenschaftlicher Qualität und bieten das Potenzial, die therapeutische Landschaft bei genetisch bedingten Seltenen Erkrankungen grundlegend zu verändern.“ So eröffne der gezielte Einsatz körpereigener Kompensationsmechanismen neue, bislang ungenutzte Wege. Dies gelte insbesondere dort, wo bisherige Therapieansätze an ihre Grenzen stießen. „Die Forschung ist ein beeindruckendes Beispiel für visionäre Grundlagenforschung mit hoher klinischer Relevanz“, so Grüters-Kieslich.
Den Forschungspreis möchte Stainier mit seinem Team für ein aktuelles Projekt verwenden, bei dem sie mithilfe spezieller genetischer Werkzeuge gezielt verschiedene Dystrophin-Varianten herzustellen. Anschließend sollen diese dazu verwendet werden, die zelleigene transkriptionelle Adaptation genauer zu untersuchen und dadurch besser zu verstehen.
Ein weiteres Ziel ist, dieses Verfahren auch auf andere genetisch bedingte Erkrankungen zu übertragen. Sollte sich das Konzept bewähren, könnten daraus neue Therapieansätze nicht nur für die Muskeldystrophie Duchenne, sondern auch für andere bislang schwer behandelbare Seltene Erkrankungen entstehen.