Es liegt an den Blutgefäßen: So führt Übergewicht zu Diabetes
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung - W. G. Kerckhoff-Institut
Einleitung
Aus unserem Essen gewinnt der Körper vor allem Zucker (Glukose) als Energie für den Stoffwechsel. Wenn nach der Mahlzeit der Blutzuckerspiegel ansteigt, sorgt normalerweise der Botenstoff Insulin aus der Bauchspeicheldrüse dafür, dass die Zellen den Zucker aufnehmen.
Nicht so bei Diabetes: Im Gegensatz zum Typ 1 Diabetes, bei dem ein Insulinmangel besteht, produziert die Bauchspeicheldrüse bei Typ-2-Diabetes zwar ausreichende Mengen dieses Botenstoffes. Auch die Rezeptoren, an die Insulin bindet, um seine Wirkung zu entfalten, sind vorhanden. Doch die Zellen reagieren nicht mehr auf das Insulin, sie sind insulinresistent geworden.
Bleibt der Blutzuckerspiegel auf Dauer erhöht, schädigt er Zellen und Blutgefäße. Auch das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Durchblutungsstörungen steigt. Der frühere Begriff "Altersdiabetes" gilt heute nicht mehr: es erkranken zunehmend auch junge Menschen.
Diabetes Typ 2 entwickelt sich in der Regel schleichend über mehrere Jahre. Neben der genetischen Veranlagung beeinflusst der Lebensstil, insbesondere das Ernährungs- und Bewegungsverhalten, das Erkrankungsrisiko. In neun von zehn Fällen einer Diabeteserkrankung, die auf Insulinresistenz basiert, sind die Patientinnen und Patienten stark übergewichtig. Doch wie löst Übergewicht die Insulinresistenz und damit Diabetes aus? Um diese Frage zu klären, hat sich die Forschung bislang vor allem auf zuckerverwertende Organe, wie die Leber, das Fettgewebe und Muskeln konzentriert, da ihre Zellen viele Rezeptoren für Insulin besitzen. Bislang ließen sich allerdings keine neuen Therapieansätze ableiten.
Mechanismen der Insulinresistenz
Wir haben uns auf eine andere Spur begeben und konzentrierten uns auf die innerste Schicht der Blutgefässe, das Endothel. Diese hauchdünne Schicht von Zellen kleidet alle Blutgefässe aus und besitzt ebenfalls viele Insulinrezeptoren. Das Endothel ist weit mehr als eine passive Barriere zwischen Blut und Gewebe: seine Oberfläche ist relativ gesehen riesig, und es bildet die Kontaktzone zwischen dem Blut und allen Organen.
Ob Muskeln, Fettgewebe oder Leber: Um seine Wirkung an den Gewebezellen zu entfalten, muss Insulin durch das Endothel. Bereits in den 90er Jahren vermutete man daher eine entscheidende Rolle dieser Grenzschicht als Vermittler der Insulinwirkung. Und tatsächlich steuert Insulin weit mehr als die Zuckeraufnahme durch Körperzellen.
Wenn es an Insulinrezeptoren der Gefäßwand von Muskeln oder Fettzellen andockt, kommt es zu einem besonderen Effekt: die Gefäße weiten sich und die Durchblutung der Organe nimmt zu. Dadurch gelangen sowohl Zucker als auch der Botenstoff schneller zu den “Verbrauchern”, wie Leber- und Muskelzellen. Außerdem vermitteln Insulinrezeptoren selbst zum Teil den Transport von Insulin über das Endothel zu den Gewebezellen. Dadurch wird die Gefäßwand durchlässiger für Insulin. Das heißt: im gesunden Organismus verstärkt das Insulin in der Gefäßwand seine eigene Wirkung. Doch welcher Mechanismus ist es, der durch Übergewicht aus dem Gleis gerät?
Das Hormon Adrenomedullin spielt eine wichtige Rolle
In „Knock-Out“-Experimenten identifizieren wir Wechselwirkungen, indem wir die Gene für einzelne Akteure gezielt ausschalten und die Effekte analysieren. Als wir im Rahmen unserer Grundlagenforschung die Wirkung des Adrenomedullin-Signalwegs in Endothelzellen im Reagenzglas (in vitro) untersuchten, stellten wir überrascht fest, dass die Hemmung dieses Signalwegs die Wirkung von Insulin im Endothel fördert. Es war bereits bekannt, dass Andromedullin-Spiegel auch bei übergewichtigen Menschen deutlich erhöht ist.

Wir machten die Effekte von Adrenomedullin und Insulin sichtbar, indem wir die Durchblutung der Muskulatur durch ein Laser-vermitteltes Verfahren mit einer speziellen Kamera aufzeichneten (Abb. 1). Im Gegensatz zu gesunden Mäusen führte die Gabe von Insulin bei diabetischen Mäusen mit Insulinresistenz nicht zur Erhöhung der Durchblutung.

Wenn wir bei übergewichtigen, diabetischen Tieren den Rezeptor für Adrenomedullin ausschalteten, konnte Insulin wieder wirken. Die Durchblutung erhöhte sich und damit die Zuckeraufnahme in die Zellen. Das Bild der Muskeldurchblutung bei solchermaßen behandelten Mäusen ist von dem gesunder Mäuse kaum zu unterscheiden.
Und schließlich konnten wir die zentrale Bedeutung von Adrenomedullin bestätigen, indem wir es gesunden, normalgewichtigen Mäusen verabreichten. Hier löste es trotz Normalgewicht eine Insulinresistenz aus.
Auch ein weiteres Protein, CFH (Complement Faktor H), ist im Blut diabetischer und übergewichtiger Mäuse und Menschen erhöht. Zusammen mit Adrenomedullin bildet es ein mächtiges Paar: beide Faktoren aktivieren synergistisch den Rezeptor für Adrenomedullin auf dem Endothel, der aktivierte Adrenomedullin-Rezeptor wiederum hemmt den Insulin-Rezeptor besonders stark. Beide verstärken sich also gegenseitig in ihrer Wirkung auf den Insulinrezeptor (Abb. 2).
Therapeutische Ansätze und Fazit
Unsere Befunde sprechen dafür dass die Insulinresistenz bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern weniger auf einer Resistenz der Zucker verwertenden Zellen wie Fett- und Muskelzellen beruht, sondern auf einer Resistenz im Bereich der Blutgefäße. Dabei spielt die Hyperaktivierung des Adrenomedullin-Rezeptors auf Endothelzellen durch Adrenomedullin und CFH eine zentrale Rolle.
Wir versuchen derzeit, die genauen Mechanismen dieser Hyperaktivierung des endothelialen Adrenomedullin-Rezeptors zu verstehen, um herauszufinden, wie man die Krankheit gezielt behandeln kann. Unsere Forschung bildet hoffentlich den Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Substanzen, mit denen sich die „Volkskrankheit“ Diabetes besser behandeln lässt.
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