Molekulare Mechanismen bei der Entstehung von Lungenödemen

Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung - W. G. Kerckhoff-Institut

Autoren
Morty, Rory Edward; Seeger, Werner
Abteilungen
Abteilung Entwicklung und Umbau der Lunge (Seeger)
Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, Bad Nauheim
Zusammenfassung
Eine gestörte Flüssigkeitsbilanz in den Lungenbläschen (Alveolen) ist das wichtigste Kennzeichen des akuten respiratorischen Syndroms, eines lebensbedrohlichen Zustandes, der häufig auf Intensivstationen anzutreffen ist. Die zugrunde liegenden molekularen Prozesse, die den Abtransport der Flüssigkeit verhindern, sind unbekannt. Kürzlich wurde das Peptidhormon TGF-β als Regulator für die Flüssigkeitsbalance in den Alveolen vorgeschlagen. Es beeinflusst die Aktivität von zwei Mechanismen, den epithelialen Na+-Transport durch den Natrium-Kanal ENaC und die Natrium-Kalium-Ionenpumpe Na+/K+-ATPase.

Eine der häufigsten Erkrankungen auf Intensivstationen ist das Atemnotsyndrom des Erwachsenen (acute respiratory distress syndrome, ARDS). Dieses tritt oft bei Patienten auf, die unter Lungeninfektionen wie Pneumonie leiden, aus denen sich Acute Lung Injury (ALI) und schließlich ARDS entwickeln kann. Besonders Patienten mit künstlicher Beatmung schweben in Gefahr, ein ARDS zu entwickeln, da künstliche Beatmung an sich ARDS auslösen bzw. verschlimmern kann (ventilator-induced lung injury oder ventilator-associated lung injury genannt). Außerdem können Säureaspiration (durch Erbrechen ausgelöstes Einatmen von Magensäure), Bluttransfusionen, Sepsis, intravenöser Drogenmissbrauch, Trauma und Einatmen von Rauch ARDS auslösen. Ein ähnliches Syndrom tritt bei Frühgeborenen auf, das infant respiratory distress syndrome (IRDS) oder Atemnotsyndrom des Neugeborenen.

ARDS ist eine der häufigsten Diagnosen auf der Intensivstation und die Überlebensrate beträgt nur 50 %. Interessanterweise hat sich die Überlebensrate nicht verändert, seit die Erkrankung vor über 40 Jahren erstmals beschrieben wurde [1]. Demnach hat es seit 40 Jahren kaum Fortschritte in der therapeutischen Behandlung von ARDS gegeben, was die Notwendigkeit für mehr Grundlagenforschung und anwendungsbezogene Forschung noch unterstreicht. Es existiert keine pharmakologische Therapie für ARDS. Jedes Medikament, das in einer klinischen Studie auf eine Wirksamkeit gegen ARDS getestet wurde, ist bisher gescheitert. Momentan besteht die einzig wirksame, also lebensverlängernde therapeutische Intervention in künstlicher Beatmung, wobei der Nutzen nur gering ist [2].

Wie ein Lungenödem entsteht

Eines der wichtigsten Charakteristika von ARDS ist das alveoläre Ödem, eine Ansammlung proteinreicher Flüssigkeit in den Alveolen des Patienten. Dieses alveoläre Ödem – kurz Lungenödem genannt – führt zu einer übermäßig dicken Flüssigkeitsschicht auf der Oberfläche der alveolären Epithelzellen, was den Gasaustausch in der Lunge verhindert. Die Patienten entwickeln eine Hypoxämie, eine Unterversorgung des Blutes mit Sauerstoff, und müssen beatmet werden. Dadurch wird das ARDS weiter verschlimmert und es entsteht ein Teufelskreis, der als ventilator-associated lung injury bezeichnet wird.

Die Mechanismen, welche zu diesem alveolären Ödem führen, sind unbekannt. Man geht davon aus, dass die Entspannung der Blutgefäße der Lunge (Vasodilatation) die Permeabilität der Blutgefäße erhöht, wodurch Blut aus den Gefäßen in die Alveolen sickern kann. Der Körper verfügt allerdings über Mechanismen, um überschüssige Flüssigkeit aus den Alveolen zu entfernen. Diese umfassen ein komplexes System aus Ionenpumpen und -kanälen in den Epithelzellen, welche die Alveoli auskleiden und die Barriere zwischen dem Blutkreislauf und der Atemluft in der Lunge darstellen. Der Ionentransport-Mechanismus besteht aus zwei Komponenten, wobei die eine Komponente aus Ionenpumpen in der basolateralen Membran der Epithelzellen besteht, also in der zur Blutseite gewandten Membran, die an den sogenannten interstitiellen Raum anschließt. Diese Ionenpumpen, die bedeutendste stellt dabei die Na+/K+-ATPase dar, pumpen Na+-Ionen aus der Epithelzelle ins Interstitium, von wo aus sie über das Blut abtransportiert werden. Dieses führt zu einer geringen Na+-Konzentration in der Epithelzelle. Auf der apikalen Seite der Zelle, welche an den Luftraum der Alveolen grenzt und demnach bei ARDS-Patienten dem alveolären Ödem ausgesetzt ist, befindet sich eine Reihe von Kanälen, welche die zweite Komponente des Ionentransport-Mechanismus bilden. Aufgrund der geringen Na+-Konzentration in der Epithelzelle treten Na+-Ionen durch den sogenannten epithelialen Natiumkanal, ENaC, in die Zelle ein. Durch die gemeinsame Aktion der Na+/K+-ATPase und ENaC wird der transepitheliale Ionentransport gesteuert. Der osmotische und elektrochemische Gradient, der durch den Na+-Transport aus der Zelle entsteht, führt zu einer passiven Flüssigkeitsabsorption, durch die Ödemflüssigkeit aus den Alveolen abtransportiert wird. Dieser Prozess wird als alveolar fluid clearance (AFC) bezeichnet. In wissenschaftlichen Arbeiten wurde gezeigt, dass die AFC in Patienten mit ARDS gestört ist [3; 4]. Ein Großteil der Arbeit von Rory Morty und seiner Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim besteht in der Erforschung der Ursachen für verhinderte AFC in ARDS-Patienten.

TGF-β als Regulator der Flüssigkeitsbilanz

Bisherige Arbeiten in der Gruppe von Morty enthalten eine Analyse der Ödemflüssigkeit, welche den Lungen von ARDS-Patienten mithilfe der „broncho-alveolären Lavage“-Technik (BAL) entnommen wurde. Dabei wird ein Bronchoskop über die Luftröhre in die Lunge eingeführt und die Flüssigkeit abgesaugt. Die Analyse zeigte, dass die Konzentration des Wachstumsfaktors transforming growth factor (TGF)-β in der Ödemflüssigkeit stark erhöht ist. Dies deutet darauf hin, dass TGF-β zu der Bildung des Ödems bei ARDS-Patienten beiträgt. Diese Hypothese wird zurzeit in zwei Projekten in Mortys Labor untersucht.

Erster Mechanismus: Einfluss auf den Natrium-Kanal ENaC

Dorothea M. Peters konnte zeigen, dass TGF-β einen starken und schnellen Einfluss auf ENaC ausübt, welcher zu einer Störung der Flüssigkeitsbilanz in der Lunge führt. Werden alveoläre Epithelzellen TGF-β oder BAL-Flüssigkeit von Patienten mit ARDS ausgesetzt, verlieren die Zellen schnell die Fähigkeit, Na+-Ionen zu absorbieren. Dieses wurde mit der sog. Patch-Clamp-Methode, die den Strom in Ionenkanälen misst, und durch  Biotinylierung von Zelloberflächenproteinen gezeigt. Die Studien ergaben, dass TGF-β für eine rasche Aufnahme von ENaC von der Zelloberfläche ins Zellinnere (Endozytose) sorgt. Dabei wurde TGF-β als die Komponente in der BAL-Flüssigkeit von ARDS-Patienten identifiziert, welche für diesen Prozess verantwortlich ist.

Die klinische Relevanz dieser Beobachtung wurde in Studien an der isolierten, ventilierten und perfundierten Kaninchenlunge verdeutlicht. Wurde TGF-β in die Alveolen dieser Lungen appliziert, war jeglicher energieabhängiger transepithelialer Na+-Transport blockiert und die isolierten Lungen waren nicht mehr in der Lage, vernebelte Flüssigkeit abzutransportieren, sodass ein alveoläres Ödem entstand. Ebenso war die Absorption von Flüssigkeit, die in die Lungen von lebenden, anästhesierten Kaninchen vernebelt worden war, blockiert, was die Rolle von TGF-β in der Regulierung der alveolären Flüssigkeitsbalance bestätigte. Erforscht wurde der zugrunde liegende molekulare Signalweg, welcher TGF‑β und ENaC verbindet, wobei ein gänzlich neuer TGF-β-Signaltransduktionsweg gezeigt werden konnte: Er umfasst die Aktivierung der Phospholipase D, anschließend der Phosphatidylinosititol-4-phosphat-5-kinase und der NADPH-Oxidase 4. Diese wiederum produzierte reaktive Sauerstoffspezies (ROS), welche dann direkt oder indirekt einen bestimmten Aminosäurerest der β-Untereinheit des ENaC-Moleküls, Zystein-43, angriffen, was zur Endozytose von ENaC von der Zelloberfläche führte.

Zweiter Mechanismus: Einfluss auf die Na+/K+-ATPase

Des Weiteren wurde in Mortys Labor herausgefunden, dass TGF-β die Aktivität der Partnerkomponente des alveolären Ionentransportes, die Na+/K+-ATPase, beeinflusst. Dies stellt einen zweiten Mechanismus dar, mithilfe dessen TGF-β AFC in ARDS-Patienten steuert.

Die Arbeit von Verena Arnoldt, Łukasz Wujak und Anna Blume zeigte, dass TGF-β die Expression von Komponenten der Na+/K+-ATPase reguliert. Die Na+/K+-ATPase hat eine komplexe Struktur, welche mehrere α-, β-, und γ-Untereinheiten umfasst.

Anders als bei ENaC ist der Einfluss von TGF-β auf die Na+/K+-ATPase jedoch langsam; es dauert bis zu 48 Stunden, bis ein Effekt erkennbar ist. Forscher in Mortys Labor haben herausgefunden, dass TGF-β die Expression der Gene, welche die β- und die γ-Untereinheit der Na+/K+-ATPase kodieren, herunterreguliert. Besonders die Regulation der β-Untereinheit ist interessant, da diese für die Stabilität der Na+/K+-ATPase in der Zellmembran verantwortlich ist. Tatsächlich war die Dichte der β‑Untereinheit sowie der gesamten Na+/K+-ATPase in der epithelialen Zellmembran um bis zu 70 % reduziert, wenn die Zellen TGF-β ausgesetzt waren. Dies führte zu einer dramatisch verringerten Fähigkeit der Zelle, Na+ zu transportieren. Der molekulare Mechanismus schien zunächst darin zu bestehen, dass die Transkription des  Gens für die ß-Untereinheit der Na/K-ATPase, atp1b1, direkt reprimiert wird.

Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Effekte von Klasse-1-Histondeacetylasen abhängen. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass TGF-β die Expression und Aktivität mehrerer Histondeacetylasen reguliert. Zurzeit wird daran gearbeitet, herauszufinden, welche Histondeacetylase den durch TGF-β verursachten Effekt auf die atp1b1-Expression vermittelt.

Dritter Mechanismus: Einfluss der Fxyd-Proteine

Abgesehen von den klassischen α-, β- und γ-Untereinheiten wird die Aktivität der Na+/K+-ATPase von einer Gruppe von kleinen Molekülen reguliert, die zur Familie der Fxyd-Proteine gehören (wobei die γ-Untereinheit zu dieser Familie gehört). In Studien im Labor von Morty wurde gezeigt, dass die Expression von Fxyd1 und Fxyd5 in den Lungen von ARDS-Patienten erhöht ist, ebenso in alveolären Epithelzellen, welche mit BAL-Flüssigkeiten von ARDS-Patienten oder mit TGF-β behandelt wurden. Knock-down von Fxyd1 und Fxyd5 mittels small interfering RNA (siRNA) führte zu einer Erhöhung der Fähigkeit der Zellen, Na+ zu transportieren.

Diese Beobachtungen zeigen einen dritten Signalweg, mittels welchem TGF-β den alveolären Ionentransport und die passive alveoläre Flüssigkeitsabsorption (AFC) in Patienten mit ARDS beeinflussen kann.

Die beschriebenen Entdeckungen zeigen neue und wichtige Rollen von TGF-β in pathophysiologischen Prozessen, welche zur Ödementstehung bei ARDS-Patienten beitragen. Die Arbeiten der Wissenschaftler in Mortys Team zielen darauf ab, diese Prozesse auf der molekularen Ebene noch besser zu verstehen. Die neugewonnenen Erkenntnisse sollen nun im Hinblick auf ihren therapeutischen Nutzen untersucht werden. Sie könnten schließlich, so die Hoffnung der Forscher, zu neuen Behandlungsstrategien für Patienten mit dieser verheerenden Erkrankung führen.

1.
D. G. Ashbaugh, D. B. Bigelow, T. L. Petty, B. F. Levine:
Acute respiratory distress in adults.
Lancet 2, 319 - 23 (1967).
2.
R. G. Brower, P. N. Lanken, N. MacIntyre, M. A. Matthay, A. Morris, M. Ancukiewicz, D. Schoenfeld, B. T. Thompson; National Heart, Lung, and Blood Institute ARDS Clinical Trials Network:
Higher versus lower positive end-expiratory pressures in patients with the acute respiratory distress syndrome.
The New England Journal of Medicine 351, 327 - 36 (2004).
3.
L. B. Ware, M. A. Matthay:
Alveolar fluid clearance is impaired in the majority of patients with acute lung injury and the acute respiratory distress syndrome.
American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine 163, 1376 - 1383 (2001).
4.
J. I. Sznajder:
Alveolar edema must be cleared for the acute respiratory distress syndrome patient to survive.
American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine 163, 1293 - 1294 (2001).

 


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